Wiederholung bedeutet wieder holen

 „Kannst Du das noch mal wiederholen?" Darauf hatte sie kaum noch zu hoffen gewagt, die junge Frau, die einen Heiratsantrag von ihrem Mann bekommt.  „Kannst Du das noch mal wiederholen? Bitte, sage es noch mal. Es ist zu schön!"

So oder so ähnlich denken und rede ich, wenn ich etwas höre, was mich begeistert, froh stimmt und mir gut tut.

„Können wir das noch mal wiederholen?", sagen sich auch manche, die einen schönen Sonntagsauflug hinter sich haben oder sich von einem Besuch verabschieden, der ihnen gut getan hat. Da gab es berührende Gespräche mit viel Verstehen und dem Gefühl: Wir sind uns nahe.  Das, was mir so gut getan hat, das möchte ich gern noch einmal erleben.

„Kannst Du das noch mal wiederholen?". Diese Frage stelle ich mir auch dann, wenn ich meine, mich verhört zu haben. Da passt die Aussage gar nicht zu meinen Erwartungen und meinem Bild von dem Gegenüber. Ich möchte es gar nicht glauben. Skepsis äußert sich in meinen Worten.

„Kannst Du das noch mal wiederholen!", dies als Aufforderung in der Schule, ist wohl eher unbeliebt. Da soll ein Schüler etwas aufsagen oder erläutern, was er vielleicht selber kaum verstanden oder nicht gelernt hat.

Und dann gibt es Wiederholungen, die ich gar nicht mag: Fernsehserien, die aus Mangel an neuen Produktionen zum zweiten Mal zu sehen sind.

Wenn etwas sehr schönes zu hören oder zu erfahren ist, dann wünsche ich mir eine Wiederholung. Wenn etwas enttäuschend oder schwer zu verstehen ist, dann möchte ich eine Wiederholung eher nicht mehr hören.

Wiederholungen sind auch die Geschichten der Passionszeit und der vor uns liegenden Karwoche. Es sind keine schönen, sondern eher schwer zu verstehende Geschichten. Es sind Geschichten von einem, der unschuldig leiden und sterben musste.

Will ich diese Geschichten wirklich hören? Ist die Welt nicht schon voll davon? Reicht es mir nicht, wenn ich den Ausgang des ganzen Geschehens kenne oder weiß, wo ich darüber nachlesen kann?

Wenn ich etwas verstehen und lernen will, dann muss ich wiederholen. Lernen bedeutet wiederholen. Dies betrifft auch die Geschichten über Jesus Christus. Wenn ich ihn verstehen und begreifen möchte, dann wird erneutes Hören und Lesen notwendig. Der Sinn der Wiederholung besteht darin, „etwas beziehungsweise jemanden wieder zu holen". Dadurch kommt das Geschehen von damals mir nahe, in meine Zeit hinein.

Dieses Wieder-Holen begegnet mit in diesen Tagen auf dem Kreuzweg. Junge und alte Menschen lesen und hören und bedenken die Geschichte von Jesus Christus auf dem Weg zum Kreuz. Es sind leise und doch heilsame Erzählungen. Ich selbst finde mich mit meinem Leben, meinen Ängsten und Sorgen, mit meinen Fehlern und Schwächen, mit meiner Sehnsucht nach Leben und Liebe darin wieder. Vollmundige Versprechungen des Petrus oder ängstliches Verhalten der anderen Jünger kenne ich. Ich fühle mich verstanden von Jesus, der da den Weg ans Kreuz geht. Diese Wieder-Holung berührt mich und lässt mich erfahren: Gott ist mir in Jesus Christus nahe.

Es ist die Geschichte Gottes, der mir sagen will: „Ich liebe dich. Du bist ein liebenswerter Mensch, auch wenn Du schwach bist. Ich will Dir nahe sein. Nimm dich selbst als liebenswerten Menschen an. Auch in Einsamkeit und Dunkelheit bin ich bei Dir."

Und ich antworte: „Kannst du das noch mal wiederholen?". - Also doch eine Liebesgeschichte! An jedem Tag der kommenden Woche können Sie und ich ein Stück der Passionsgeschichte hören, lesen und die Botschaft wieder holen.

 

Michael Heimann

(MAZ, Jüterboger Echo, 5.4.2009)